Die Muschelsucherin

Die Brandung umspülte seine Füße. Er hob die Arme und stieß einen befreienden Schrei aus. Endlich Urlaub! Monatelange, erfolgreiche Arbeit lag hinter ihm. Sein neuer Job war ein Volltreffer. Nie hätte er es für möglich gehalten in so kurzer Zeit nach ganz oben zu kommen. Er stand auf der Veranda seines kleinen Ferienhäuschens am Meer und sah sich um.

Dieses wunderschöne Fleckchen Erde gehörte ihm. Er hatte all das, wovon er immer geträumt hatte. Einen aufregenden Job, richtig viel Geld, er fühlte sich gut. Frauen spielten zur Zeit keine Rolle in seinem Leben. Nach der Trennung von Ive waren sie ihm eher gleichgültig geworden. Er benötigte eine Frau nur noch für die so genannten sexuellen Notstände. Darüber hinaus waren sie ihm zu kompliziert und Besitz ergreifend. Seine Arbeit war das Wichtigste für ihn. Sie verschaffte ihm Anerkennung, materielle Unabhängigkeit und erfüllte ihn mit Stolz und Befriedigung. Er fing an zu laufen. Das regelmäßige Joggen hatte seinen Körper in Top-Form gebracht. Der Strand war wie immer menschenleer. Er lief ins Meer, schwamm mit kräftigen Schlägen hinaus und ließ sich auf dem Rücken treiben. Als er Hunger verspürte, drehte er um. Die Sonne schien ihm ins Gesicht. Er fühlte sich lebendig wie ein Fisch im Wasser und fast gestört, als er am Ufer eine Frau aus dem Wasser steigen sah. Ihr nackter, nasser Körper glänzte in der Sonne. Sie befreite sich von ihrer Taucherbrille und setzte sich zum Trocknen in den Sand. Als sie ihn bemerkte, nickte sie ihm freundlich zu. Etwas widerwillig schwamm er an Land, bemüht nicht unhöflich zu wirken. Er würde kurz „Hallo“ sagen und dann wieder verschwinden. Sein erster Eindruck von ihr war, dass sie eine vollkommen natürliche Ausstrahlung besaß. Sie war sicher nicht schön im eigentlichen Sinn, hatte aber ein ebenmäßiges Gesicht und einen sportlich, schlanken Körper. Er empfand sie auf Anhieb elektrisierend erotisch. Sie gab ihm die Hand. „Hallo, ich bin Lisa und habe das kleine Wochenendhaus dort oben am Strand gemietet.“ Er stellte sich vor und konnte sich die Frage nicht verkneifen, ob sie ganz allein Urlaub machte. Sie schmunzelte: „Ja zum Glück, ich habe so lange so hart gearbeitet, dass ich nur noch in Ruhe relaxen möchte.“ Er traf sie von nun an täglich. Sah zu, wie sie geschmeidig durchs Wasser glitt, sich kurz in der Sonne trocknen ließ und nach ein paar freundlichen Sätzen mit ihm viel zu schnell wieder verschwand. Nach fünf Tagen wusste er nur soviel von ihr, dass sie als freie Journalistin arbeitete, gerade an einem Roman schrieb und leidenschaftliche Muschelsucherin war. Fast ungeduldig wartete er morgens auf ihr Erscheinen am Strand. Das Gefühl, einen `Korb` zu erhalten, hielt ihn davon ab, sie zu einem Kaffee einzuladen. Sie wirkte offen und zurückhaltend zugleich, interessiert, dann wieder fast gleichgültig. Lisa schien außergewöhnlich klug zu sein. Sie hatte Witz und Humor, strahlte aber gleichzeitig eine sehr melancholische Aura aus. Verwirrt stellte er fest, dass er sich jeden Tag mehr auf sie freute. Nachts träumte er von ihr und war stark erregt. Offensichtlich begehrte er sie schon mehr, als er sich eingestehen wollte. Er beschloss, ihr einen Besuch abzustatten. Der Schein der Schiffslaterne fiel auf ihr flammend rotes Haar. Lisa saß in ihrem Schaukelstuhl auf der Veranda. Auf dem Tisch stand eine Flasche Wein und zwei Gläser. Er war enttäuscht. „Entschuldige, wenn ich störe, ich wusste nicht, dass du Besuch hast.“ Belustigt sah sie zu ihm hoch. „Setz` dich, bat sie ihn, ich bin allein. Ich hatte gehofft, dass du vorbei kommen würdest.“ Erstaunt nahm er Platz. „Seit vier Tagen starrst Du mich an mit diesem Blick: Ich möchte dich gern näher kennen lernen, weiß aber nicht, wie ich dich ansprechen soll.“ Er war sprachlos. So etwas war ihm noch nie passiert. Er galt doch sonst als so unnahbar, die Frauen mussten ihn betören und verführen. Schon lange machte er sich keine Mühe mehr, eine Frau zu erobern. War er so eindeutig gewesen? Er hatte ihr auf keinen Fall zu nahe treten wollen. Sie lächelte ihn an. „Schön, dass du da bist!“ Ihre natürliche Art beruhigte ihn augenblicklich. Er fühlte sich wohl und geborgen bei ihr. Sie redeten, tranken vollmundigen Rotwein und er wusste er war im Begriff, eine wunderbare Frau kennen zu lernen. Sie erzählte ihm von dem überraschenden Tod ihres Mannes, den sie abgöttisch geliebt hatte. Von ihren Ängsten und Träumen.

Er war überrascht von seiner Offenheit ihr gegenüber. Sie verbrachten die Tage in süßem Nichtstun und die Abende in einer ganz neuen und doch vertrauten Zweisamkeit miteinander. Lisa faszinierte ihn mit ihrer unkomplizierten, lockeren Art. Wenn sie besonders schöne Muscheln fand, freute sie sich wie ein Kind. Wenn sie miteinander diskutierten, war sie eine erwachsene, gebildete Frau, die mit beiden Beinen fest im Leben stand. Sie erlangten vollkommene geistige Übereinstimmung. Der eine sprach aus, was der andere dachte. Beide waren überrascht von der Gleichheit ihrer Wünsche, Bedürfnisse oder der Vorstellungen vom Leben. Er wollte ihren Körper, aber noch viel mehr begehrte er ihren Geist, ihre Gedanken, er wollte erst ihren Kopf und dann ihren Leib erobern. Der Sex mit ihr würde eine Gnade sein, dessen war er sich sicher. Lisa würde ihm ein Zeichen geben, wenn sie soweit war. An einem besonders schönen Morgen fehlte sie am Strand. Er beschloss, ihr entgegen zu gehen. Er fand sie in ihrem Schlafzimmer auf dem Bett sitzend. In der Hand hielt sie einen Brief. Neben ihr lag ein goßer Schalenkoffer. „Ich muss morgen zurück nach Anchorage zurück. Mein Verleger hat meinen Roman erhalten und möchte ihn möglichst bald veröffentlichen. Er will sich umgehend mit mir treffen.“ Er fühlte Freude für ihren Erfolg und gleichzeitig einen heftigen Stich des Verlustes in sich aufsteigen. Erschreckt stellte er fest, dass er sie brauchte. Sie wohnten fast 2000 Meilen auseinander. Ihre Beziehung ging zu Ende, bevor sie richtig angefangen hatte. Sie verabredeten sich für einen letzten gemeinsamen Abend. Er hatte den ganzen Nachmittag damit verbracht, ein erlesenes Menü vorzubereiten und seine wirren und traurigen Gedanken zu ordnen. Sie aßen schweigend. Lisa wirkte blass und angespannt. Ihre geröteten Augen verrieten ihm, dass sie geweint hatte. Als er ihr etwas Wein nachschenkte, sog er ihren verführerischen Duft ein. Das Glas klirrte, so heftig stellte er es ab. Fast brutal zog er sie an sich. Sie presste ihren Mund auf seinen, als wenn sie die ganze Zeit darauf gewartet hatte. Er setzte sie auf den Tisch, schob ihr Kleid hoch und zerriss mit einem Ruck den winzigen Slip. Sie lehnte sich zurück und spreizte weit ihre Beine. Er streichelte und küsste ihre empfindlichste Stelle, die sich ihm in leuchtendem Rosa verführerisch darbot. Lisa stöhnte und schrie, sie schien fast verzweifelt erregt zu sein. Keuchend zog sie ihn auf sich. Er war fast toll vor Lust. Beide waren unersättlich in dieser Nacht. Sie waren gierig nach unbändiger Leidenschaft, die mit den ersten Anzeichen der Liebe gepaart war. Er wurde nicht müde, ihren Körper zu erforschen. Ihre Blicke, Gesten, das vergnügte Lachen, ihr ekstatisches Gesicht, wenn er ihr höchste Lust verschaffte, ihre Gabe, ihn vollkommen zu befriedigen, machten ihn glücklich. Im Morgengrauen gab es keine Stelle in seinem Haus, an der sie sich nicht geliebt hatten. Er hielt sie in seinem Arm und betrachtete sie fast ehrfürchtig. Jeden Zentimeter ihres ebenmäßigen Gesichtes wollte er sich einprägen. Es erschreckte ihn, welche Gefühle sie in ihm geweckt hatte. Verzweifelt presste er sie an sich. Lisa fehlte ihm schon jetzt. Im Schlaf umfasste ihre Hand seinen Penis. Sie wurde wach, während er in sie hinein glitt. Ineinander schwebten sie durch einen traumähnlichen Zustand von Liebe und Lust. Der Mond spiegelte sich in der ruhigen See. Sein Herz zog sich vor Sehnsucht zusammen bei dem schönen Anblick. Er fühlte sich einsam und leer. Als die Nacht schlaflos an ihm vorbei gestrichen war, stand sein Entschluss fest. Er reservierte ein One Way Ticket für den nächstmöglichen Flug nach Anchorage. Das Fax an den Chef seiner Firma ging kurze Zeit später raus. Auf dem Weg zum Flughafen erreichte ihn eine SMS von Lisa: `Bin gut gelandet, vermisse Dich aber so sehr, was nun?` Als sich die Maschine langsam in die Luft hob, lehnte er sich entspannt zurück. Die Gewissheit, das Richtige zu tun, machte ihn unglaublich glücklich! Anmerkung der Redaktion: Die Verantwortung für Inhalt, Sprache, Grammatik und Stil des Textes liegt beim Autor.


 


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