Flexibilität
Fernbeziehungen und deren Vor- und Nachteile. Mobilität und Unabhängigkeit wird heutzutage in fast jedem Beruf und in jeder Position gefordert. Aber die berufliche Mobilität und Flexibilität fordert ihren Tribut und führt oft dazu, dass Paare die Woche über hunderte Kilometer von einander entfernt leben.
Immer mehr Paare müssen getrennt leben
Am Wochenende - wenn überhaupt - ist dann große Familienzusammenführung. Eine solche Liebe auf Distanz führen immer mehr Paare. Geschätzt wird, dass jede neunte Beziehung in Deutschland eine solche Fernliebe ist. Im Juli wurde erstmals eine bundesweite Studie im Auftrag des Bundes-Familienministeriums zum Thema Fernbeziehungen veröffentlicht: Immer mehr Paare sind gezwungen, so zu leben und die Probleme für die zwangsgetrennten Paare nehmen zu. Für viele Beziehungen ist das eine enorme Belastung. Natascha und Michael S. sind ein Ehepaar, das ihr Wochenende in Holland verbringt. Das ist eigentlich nichts Ungewöhnliches, doch für die beiden sind die Momente der Zweisamkeit selten und daher etwas Besonderes, denn sie führen eine Fern-Ehe. Das bedeutet, dass sie sich höchstens ein bis zwei Mal im Monat übers verlängerte Wochenende sehen. Michael S., 39 Jahre alt, wohnt und arbeitet in München. Dort plant, entwirft und zeichnet er technische Einrichtungen für Tonstudios. Unter der Woche dreht sich sein Leben in München vor allem um seine Arbeit. Zwangsläufig, denn seine Frau ist derweil über 1.000 Kilometer weit weg. Und auch abends zuhause hat er keine richtige Nähe zu ihr.
Liebesgeflüster ist nur per Telefon möglich
Jeden Abend zu telefonieren ist teuer. Wichtig aber ist, die Stimme des anderen zu hören. Dieses tägliche Ritual - so sagen beide - hilft ihnen, sich wegen der großen räumlichen Distanz nicht auseinander zu leben. Die Trennung von Michel, wie Natascha ihren Mann nennt, fällt ihr nicht leicht. Um damit fertig zu werden, klammert sie sich an gemeinsame Rituale in ihrem Garten im holländischen Leiden. Die Fernehe auf Distanz ist für Michael S. erträglich. Fremdgehen und Seitensprünge sind für beide kein Thema. Beide haben großes Vertrauen zueinander. Dennoch war es ausgesprochen wichtig, dass das Paar schon vor der räumlichen Trennung zwei Jahre zusammen war. Seit einem halben Jahr arbeitet Natascha an der Sternwarte der Universität von Leiden als wissenschaftliche Assistentin. Davor war sie zwei Jahre in Paris. Der 31-Jährigen bedeutet ihre Arbeit sehr viel. Und sie weiß, dass Auslandsaufenthalte in ihrem Job das A und O bedeuten. So flexibel wie sie sein muss, sind ihre Arbeitgeber meist nicht. Mit ihrem jetzigen Chef hat Natascha jedoch Glück, denn er lässt sie auch schon mal am Donnerstag ins Wochenende gehen. Während andere sich entspannen können, muss Michael S. am Freitagabend noch nach Holland jetten. Das bedeutet Stress, der auch ins Geld geht. Als Michael Natascha heiratete, wusste er, dass Natascha ihre Doktorarbeit schreiben würde. Dass aus zwei Jahren Auslandsaufenthalt drei Jahre werden würden, war den beiden nicht bewusst. Aber das Paar plante lieber jetzt den Auslandsaufenthalt und später die Kinder. Die gemeinsame Zeit ist kurz, und sie wollen sie unbeschwert genießen. Über die kleinen Fehler des anderen gehen sie hinweg. Doch manchmal müssen sie einfach ihre großen Konflikte beseitigen - ausgerechnet in ihrer kostbaren Zeit. Räumlich getrennt und seelisch vereint - dass dies neben Risiken auch Chancen in sich birgt, ist dem Ehepaar bewusst.
Romantische Stunden, lange Gespräche, viel Nähe
Wenn sie zusammen sind, ist ihre Beziehung besonders intensiv. Umso schwerer fällt die Trennung jedes Mal wieder. Am Wochenende als Paar zu leben, im Alltag aber als Single - dieser immer wiederkehrende Abschied ist ein Wechselbad der Gefühle. Doch Natascha und Michael sind nicht die einzigen, die sich am Sonntagabend wieder von ihrer Liebe trennen müssen. Aber sie haben die Aussicht, dass Natascha in zwei Jahren einen Job in München finden kann. Das lässt sie die Trennung ertragen. Solche Fernbeziehungen gibt es immer häufiger mit vielen unterschiedlichen Problemen. Ein Grund für den Mainzer Soziologen Prof. Norbert Schneider, diese Paare mal genauer zu untersuchen. Seine Studie hat festgestellt, dass man die Fernbeziehungen unterscheiden muss. Einmal gibt es die Paare, bei denen einer in der zentralen Wohnung lebt - meist mit Kind -, während der andere die Woche über in der Zweitwohnung lebt, weit entfernt arbeitet und am Wochenende immer wieder nach Hause kommt.
Das sind die so genannten Shuttles
Die zweite Gruppe sind die echten Fernbeziehungen, bei denen jeder Partner seine eigene Wohnung hat und beide sich wechselseitig besuchen. Beides birgt Risiken, wenn sich die Partner vorher nicht aussprechen. Ist die Situation aber von vornherein geklärt, kann dies auch eine Chance auf besonders intensiv erlebte Stunden und Tage bieten.
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