Das Spiel
Niemand hindert ihn – er muss nur wollen, und er ist frei. Er lauscht ihrem gleichmäßigen Atem, der ihm flüsternd von ihrer Liebe und ihrer Zufriedenheit erzählt. Ein sanftes Brennen auf der linken Schulter erinnert an das Streicheln der Gerte, die nun so kraftlos auf dem Boden liegt. Seine Gedanken kreisen um das, was geschehen ist; gefangen im Radius des weichen Leders. Freude und Dankbarkeit mischen sich mit Traurigkeit und Furcht, und langsam lassen seine Hände ab. Wandern tiefer und finden kurzen Halt an seinen Schenkeln – unfähig zu vollenden, was sie vor Stunden offen gelassen hatte.Warum war da heute kein Ende gewesen? Es war ein Spiel. Ein Spiel, das sie erst kürzlich für sich entdeckt hatten; ein Spiel, dessen Regeln noch im Fluss waren, ein Spiel, das nur Gewinner kennen sollte. Sie waren immer einig gewesen, dass dieses Spiel einen Anfang haben müsste und ein Ende; eine sichtbare Grenze zu dem, was sonst ihr Leben war. In den vergangenen Wochen und Monaten hatten sie Anfang und Ende mit Musik markiert, auch mit einem Seil und später mit einem Schlüssel, der sie der Außenwelt entzog. Hier waren nur sie, und dort war der Rest der Welt und der Zeit und des Lebens; und ihr Spiel hatte damit nichts zu tun. Der Schlüssel hatte ihnen Macht gegeben: die Macht, das tägliche Leben auszusperren, aber auch die Macht, es wieder zuzulassen, nachdem eine heftige und tiefe Umarmung die Spannung von ihnen genommen hatte.
Das Halsband war aus schwarzem Leder: zu weich, um unangenehm zu sein, doch zu breit und zu eng, als dass er es nicht gespürt hätte. Er schloss die Augen und blickte zurück auf das Leuchten in ihren, als sie es gemeinsam ausgesucht hatten. Es war das einzige gewesen, das ihnen beiden gefallen hatte, und sie hatten es noch am gleichen Abend in ihr Spiel integriert. Das Halsband war der Beginn und das Ende, und er hatte sich wohl und sicher gefühlt. Noch sanfter als sonst hatte sie ihn aufgefangen, als er schließlich gefallen war. Doch heute Nacht war da kein Ende gewesen. Halb fünf, und der Schlaf hat noch immer keine Chance. Langsam und leise steht er auf, tauscht die Decke gegen den neuen Bademantel und das Bett gegen den Korbsessel auf dem Balkon. Die Nacht ist mild, die Dämmerung noch fern, und der Rauch seiner Zigarette malt warme Schlieren vor das kalte Licht der Straßenlaternen. Er fühlt das Leder an seinem Hals. Niemals würde er sich im Tageslicht so zeigen. Aber hatte er nicht schon so oft niemals gesagt? Niemals hätte er dieses Spiel gespielt. Zu keiner Zeit hätte er auch nur daran gedacht. Und keinesfalls hätte er je einem Menschen erlaubt, Kontrolle über ihn zu gewinnen. Auch nicht ihr.
Oder schon gar nicht ihr, die ständig um ihn war? Er hatte immer klare Grenzen gesetzt und keiner Erfahrung erlaubt, diese zu verschieben. Niemals hätte er echte Nähe zugelassen, denn Nähe war Angst und Verletzlichkeit. Doch alle diese „Niemals“ hatten sich in den letzten fünf Monaten in nichts aufgelöst. Irgendwann in dieser Nacht war es dann passiert. Plötzlich war das Spiel kein Spiel mehr gewesen. Als er noch zu spielen glaubte, war es schon Teil von etwas anderem geworden. Schleichend, ohne feststellbaren Übergang. Und er hatte es zugelassen. Zugelassen, dass die Macht, die er ihr über sich gegeben hatte, sich verselbstständigte, sich ausbreitete, ihrer Kontrolle entglitt. Und schließlich an die Stelle des Spiels getreten war. Warum hatte sie ihn heute nicht aufgefangen? Warum ihn fallen lassen, abgelegt neben sich und die erlösende Umarmung verweigert? Warum sein Vertrauen enttäuscht? Die Dämmerung zieht auf, er friert. Das Bett ist noch warm. Bilder ziehen an seinen Augen vorbei, manche scharf, einige verwaschen. Bilder der vergangenen Nacht. Wörter und Sätze suchen sich den Weg in seine Erinnerung, und plötzlich ist da diese Frage; die Frage, nach der er so lange gesucht hatte. Ob sie ihm das Halsband abnehmen solle? Er hatte nein gesagt. Und letztlich gewinnt doch der Schlaf die Oberhand. Sein glückliches Lächeln überstrahlt das Licht des beginnenden Tages.
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